Die Blockchain-Technologie hat momentan noch keinen praktischen Nutzen
Siim Sikkut, Estlands Chief Information Officer (CIO) meint, dass die Blockchain-Technologie derzeit keinen wirklichen praktischen Nutzen hat. Er glaubt trotzdem an ihr Potenzial. Estland gilt als Vorreiter bei der Adaption der Blockchain-Technologie. Bei einer Vielzahl staatlicher Dienstleistungen wird sie bereits genutzt.
Sikkut, Estlands CIO und Mitverantwortlicher im Bereich Digitalisierung, hat es sich zur Aufgabe gemacht, in Europa die Cybersicherheit zu stärken, den Datenaustausch voranzutreiben und mehr digitale Staatsbürger anzuwerben. Estland gilt als digitalster Staat Europas und nutzt bereits seit Jahren Distributed-Ledger-Technologien für die staatliche Datenverarbeitung, immer mit dem Ziel die Daten, die vom Staat genutzt werden, unverfälscht zu erhalten.
Hier hat Deutschland noch aufzuholen
Obwohl Estlands CIO Teil des Wirtschaftsministeriums ist und in Deutschland der Digitalisierungsbeauftragte der Regierung sogar im Kanzleramt sitzt, scheint in Estland einiges mehr voran zu gehen. DER CIO meint, dass der Job eigentlich auch in die Regierungszentrale gehöre, es hierauf jedoch letztlich nicht ankäme. Wichtig sei, dass es einen Verantwortlichen gibt, der etwas zu sagen hat.
In Deutschland teilen sich gleich fünf Ministerien die Aufgabe und stellen zudem die Nützlichkeit des neuen Postens der Staatsministerin fürs Digitale in Frage. Anders als in den meisten Ländern scheinen in Estland nicht die Unternehmen digitale Standards zu setzen, sondern die Politik ist es, die den technologischen Fortschritt vorantreibt.
Laut dem European Digital Progress Report der EU-Kommission hinkt Deutschland im EU-Vergleich weit hinterher und belegt im E-Government nur Platz 18 von 28 Ländern. Entsprechende digitale Angebote werden lediglich von 19 Prozent der deutschen Web-Nutzern genutzt. Das ist einer der niedrigsten Werte in der gesamten EU.
Blockchain hat großes Potenzial
Im Gespräch mit Wirtschaftswoche äußert sich Sikkut auf die Frage, ob Blockchain den ganzen Hype wert ist, dass er derzeit keinen praktischen Nutzen in der Technologie sieht. Aber er glaube, dass irgendwann jemand eine gute Idee für eine praktische Anwendung haben würde. Was eine überraschend nüchterne Zwischenbilanz zur bisherigen Nutzung der Technologie ist.
Blockchain könne jedoch grundsätzlich die Demokratie verändern, etwa Zuge von Volksabstimmungen und Wahlen, weil viel mehr individuelle Entscheidungen durch die Technologie verwaltet werden können. Die Frage hierbei sei jedoch, ob das überhaupt jemand will und ob das für jemanden attraktiv ist. Der Einsatz ist weltweit, wie auch in Estland, vom politischen Willen abhängig.
Vorreiter in der Adaption der Blockchain-Technologie
Estland nutzt e-Estonia für eine Vielzahl staatlicher Dienstleistungen und gilt als Pionier der digitalen Verwaltung. Die Behörden sorgen dafür, dass die estnischen Staatsbürger alle Informationen nur einmal online eingeben müssen und diese dann automatisch ausgetauscht werden. In nur wenigen Klicks stehen dem Nutzer große Teile des Steuer-, Regierungs-, Bildungs-, oder Gesundheitswesens zur Verfügung.
Nicht nur Arzttermine kann man online vereinbaren, auch fast alle Rezeptverschreibungen werden sicher auf einer Blockchain gelagert und zwischen Ärzten, Apotheken und Patienten auf digitalem Wege vermittelt. Digitalisierung, die Bürger und Politiker gleichermaßen begeistert.
Die Blockchain stellt in der Verwaltung gegenüber herkömmlichen Verfahren ein weitaus transparenteres und auch sichereres Datenverwaltungssystem dar. Genau wie sich auch jede Bitcoin-Transaktion genau nachvollziehen lässt.
Zukunftspläne
Der CIO möchte zukünftig digitale Transaktionen noch einfach machen. So sollen die bürokratischen Erfordernisse bei der Geburt eines Kindes automatisch ablaufen, sobald der Saat über die Geburt informiert wird. Auch im Punkt künstliche Intelligenz soll der Fortschritt schneller vorangehen. Außerdem soll das E-Residency-Programm ausgebaut werden, ein weltweit einzigartiges Projekt das es allen Bürgern weltweit ermöglicht, digitaler Staatsbürger von Estland zu werden. Vor allem Unternehmer kommen so in den Genuss digitaler Verwaltung und haben die Möglichkeit, über das Internet eine Firma zu leiten und weltweit ihr unternehmerisches Potenzial zu entfalten.
Das Programm funktioniere bereits sehr gut, jedoch müssen noch mehr Angebote geschafft werden, die dem digitalen Bürger konkrete Vorteile bringen. Prognosen zufolge soll es bis 2025 rund zehn Millionen E-Residents geben. Eine Aufenthaltserlaubnis sei mit dem Programm jedoch nicht gekoppelt.
Estland ist einer der stärksten digitalisierten Staaten der Welt – einer der Gründe ist wohl eine Reihe an Internetangriffen auf Websites von Regierung und Parlament sowie Banken und Medien Anfang 2007, welche international für Unruhe sorgten. Dieser Vorfall wurde von der estnischen Regierung als Cyber-Terrorismus bezeichnet, die EU und die Nato wurden eingeschalten. Obwohl später einiges relativiert werden konnte, bedeutete für Estland diese Angriffswelle einen Wendepunkt. Elektronische Sicherheit wurde zu einem bedeutenden Teil der Landesverteidigung.